Terror

Rubrik: Vorlesungsfrei

Eine Theaterrezension

Wie entscheidest du? – Mit dieser Frage werden mein Redaktionskollege, der Informatiker und ich, ein theaterunerfahrener Kunstbanause direkt zu Beginn der Vorstellung konfrontiert.
Sie prangt in weißen Lettern auf dem schwarzen Infoblatt für das Theaterstück, das auf dem Buch von Ferdinand von Schirach aus dem Jahr 2015 aufbaut.
Zuvor haben wir noch fix unsere Karten abgeholt und vorbildlich Zettel und Stift gezückt, für Notizen und so. Fast so wie richtige Journalisten.
Und dann fängt es auch schon an. „Terror“ braucht keinen dramatisch fallenden Vorhang oder herumschwafelnden Redner am Anfang. Das Stück und auch dessen Grundlagen, ein Buch und ein Film, verzichten im Allgemeinen auf das Drumherum und bleiben klar bei der Thematik und Handlung.
Die ganze Geschichte wird im Rahmen einer Gerichtsverhandlung inszeniert und wirkt dabei verblüffend real, was vor allem dadurch gelingt, dass alle Zuschauer mit eingebunden sind und Teil der Atmosphäre werden. Zu Beginn des Stück kommen nun erst die Staatsanwältin, dann der Richter, die Nebenklägerin und der Sicherheitsbeamte mit dem Angeklagten auf die Bühne, während das Publikum noch gar nicht bemerkt hat, dass es anfängt und der allgemeine Gesprächslärm über allem liegt.
Als dann das Telefon der Staatsanwältin unbeabsichtigt klingelt wird es schon ruhiger und der Richter eröffnet den Prozess, nicht ohne vom Verteidiger unterbrochen zu werden, der zu spät, ohne Robe und wenig formell, quer über die Bühne auf seinen Platz hetzt. „Terror“ porträtiert eine sehr wirklichkeitsnahe Begebenheit und glänzt hierbei mit der realistischen und glaubwürdigen Darstellung und Schauspielleistung der einzelnen Charaktere.

Wie entscheidest du?
„Moment mal… wie entscheide ich Was?“, frage ich mich noch, als schon der Richter zur Erklärung ansetzt: „Sie, meine Damen und Herren, werden heute Abend das Urteil über den Angeklagten Lars Koch fällen. Ist er schuldig oder nicht? War das was er tat eine notwendige Maßnahme oder eine Straftat? Es liegt allein in ihrer Hand!“
Und zack! Jetzt waren wir keine Zuschauer mehr, sondern Richter. Wir selbst waren jetzt in der Pflicht und auch in der Ehre, Recht zu sprechen. Das wird dann ja auf jeden Fall spannender als erwartet, wenn ich gleich nicht nur zusehe, wie die vorgeschriebene Handlung vor sich hinläuft, sondern ich in der Geschichte mit meiner Entscheidung eine drastische Wende bewirken kann. Jetzt heißt es also aufpassen und der Verhandlung folgen, damit ich dann auch eine nachhaltige Entscheidung fällen kann.

„Es geht um Mord“
Der Angeklagte hat ein Flugzeug mit über 100 Passagieren abgeschossen, er ist Kampfpilot.
Er hat das Flugzeug aber auch davon abgehalten in ein gefülltes Fußballstadion mit 70 000 Zuschauern zu stürzen. Es war in der Gewalt von Terroristen.
Jetzt folgt die Anhörung der einzelnen Parteien, es war dargestellt, abgewogen, geschildert, philosophiert und gefühlt. Ein Befragter ist Leutnant beim Militär, die zweite ist Ehefrau eines zu Tode gekommenen.
Durch die Inszenierung des Stücks kommt jeder Charakter zur Geltung und das obwohl die Zeugen mit dem Rücken zum Publikum sitzen. Das Theater Heilbronn hat hier aber eine sehr gute Lösung gefunden. Am Richterpult ist eine Kamera angebracht, deren Bild an die Rückwand des Bühnenbildes projiziert wird, sodass die Mimik und Emotionen in den Gesichtern der Befragten eindrucksvoll zur Geltung kommen. Das gesamte Stück ist auf eine beeindruckende, aber auch bedrückende Weise realistisch.
Die Gefahr des Terrors und Brisanz der Debatte kostet mich einen Fingernagel nach dem anderen, während ich gespannt der Diskussion folge und in meinem Kopf die Argumente immer wieder abwäge.
Es ist anstrengend und frustrierend, da beide Seiten so nachvollziehbar argumentieren und mir eine wirkliche Antwort kaum möglich ist. Ich will schon fast aufhören mir den Kopf zu zerbrechen, da mahnt der Verteidiger uns alle. Und zwar mit einem Satz, der mir gut in Erinnerung geblieben ist:
„Fälle und Szenarien, die zu schlimm und grauenhaft sind, als dass sie real sein können, zu ignorieren, ist nicht nur naiv, sondern gefährlich“, warnt er.
Der Satz ist ziemlich verstrickt, aber auch umso wichtiger. Nur, weil es etwas eigentlich nicht geben sollte, darf man es trotzdem nicht leugnen. Gerade bei den wirklich schrecklichen Dingen ist es wichtig, dass wir uns auf sie vorbereiten und uns nicht vor schwierigen Entscheidungen und Gedanken drücken.

Es geht sehr philosophisch weiter. Fragen über Fragen. Was ist der Wert von Leben, was ist Würde, was Moral, was sind Prinzipien, was macht Schuld aus und wer sagt was gerecht ist und, und, und.
War es richtig wenige Unschuldige zu töten, um viele zu retten und was bedeutet das für andere Situationen in unserem Leben?
Ich bin beeindruckt wie tiefgründig das Stück ist und wie wenig Gedanken ich mir bisher über viele dieser grundlegenden Fragen gemacht habe.
Nach einer letzten Gegenüberstellung von Anklage und Verteidigung ist es nun so weit. Das Publikum verlässt den Raum und stimmt mit einem schwarzen oder weißen Chip ab: Schuldig oder unschuldig – lebenslange Freiheitsstrafe oder Freilassung – Mörder oder Held.
Und jetzt verkündet der Richter sein Urteil.
„Lars Koch, 30, der Ehemann und Vater, wird nach Auszählung der Stimmen, vom Gericht für …“

Was wir entschieden haben verrate ich nicht, denn was viel wichtiger ist:
Wie entscheidest Du?

„Terror“ ist ein Stück für alle Studis unter uns, die einmal aus dem Alltagstrott aufwachen wollen, denen es wichtig ist, sich eine Meinung begründet zu bilden und die gerne auch mal ihren Kopf anstrengen.
Trotz der tiefgehenden Gedanken ist man stets gefesselt und ins Geschehen eingebunden.
Allen, die jetzt selbst grübeln, wie sie sich selbst positionieren würden, rate ich: Guckt den Film, lest das Buch, denkt nach oder geht in die Vorstellung!
Mich hat es in Gedanken versetzt und zum Austausch / zur Debatte angespornt.

Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre wohlbedachten Überlegungen!

Text: Marc Hofrichter, Jonathan Köhler

Bilder: Thomas Braun / Theater Heilbronn

Dieser Artikel erschien in Ausgabe Nr. 6 vom 31.05.2017.

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