Studierendenschaft – Eine kurze lange Geschichte

Was wir Studierenden mit der deutschen Flagge zu tun haben.

Heute haben wir Demokratie in Deutschland.

Und während man sich darüber streiten kann, ob alles immer so gerecht und demokratisch abläuft, so haben wir Studenten mit der Verfassten Studierendenschaft ein mächtiges demokratisches Instrument. Jeder kann mitgestalten. Wir als Studierendenschaft sind unabhängig, weltanschaulich und politisch neutral. Eigene Gelder und die eigene Rechtsform verleihen uns Schlagkraft.

 

Doch bis hierher war es ein langer Weg. Werfen wir einen kurzen Blick zurück.

Und zwar ins frühe 19. Jahrhundert. Deutschland gab es nicht, stattdessen viele kleine Staaten, welche auch gerne Mal völlig unterschiedlichen Regeln und Gesetzen folgten. Genauso sah es auch an den Universitäten aus: Ein bunter Strauß an Studentenverbindungen war die einzige Form der Organisation. Viele Studenten hatten genug von dieser Kleinstaaterei und sehnten sich nach einem vereinten und demokratischen  Deutschland.

 

Der erste Schritt war somit überhaupt an der eigenen Universität eine Einheit herzustellen: Eine allgemeine Studierendenvertretung, welche die Interessen aller Studierenden der Universität nach außen vertritt. Infolgedessen gründete sich 1815 die Urburschenschaft in Jena („Bursche“ war ein zeitgenössisches Wort für „Student“), an vielen weiteren Universitäten geschah dasselbe.

 

Um nun Demokratie und ein vereinigtes Deutschland repräsentieren zu können, schlossen sich bereits 1817 auf dem Wartburgfest Studenten vieler Universitäten zusammen und legten fest, als Studenten einheitlich aufzutreten und auf eine Vereinheitlichung des Studi- ums im deutschsprachigen Raum hinzuwirken. Auch wenn es noch kein Deutschland gab. Ein Vorgänger der Bologna-Reform  sozusagen.

 

Die Einigung Deutschlands aber scheiterte, so dass sich knapp 30 Jahre später die Studentenschaften (vormals Burschenschaften) um weitere Reformen, zumindest an den Universitäten, bemühten. Die Gleichheit aller Studenten und die Abschaffung der Studentenverbindungen war nun eine zentrale Forderung. Nach wie vor waren Einheit, Demokratie und Freiheit die großen Ziele. Wer hierbei jetzt an die Nationalhymne mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ denkt, liegt nicht ganz falsch. Tatsächlich rühren unsere Nationalfar- ben Schwarz-Rot-Gold von den Ideen dieser frühen Studentenschaften: Diese Farben wurden 1832 auf dem Hambacher Fest von den Studentenschaften als Symbol für eine deutsche Republik gewählt.

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts (es gab nun ein einiges Deutsches Reich, aber keine Demokratie) gab es erneute Reformen durch die Studentenschaften: Für bedürftige Kommilitonen wurden Leihbüchereien eingerichtet, verbilligte Waren angeboten sowie Mensen und Arbeitsvermittlungen betrieben. Außerdem wurde eine zeitgemäße Form des Studiums durchgesetzt – den damaligen Studentenschaften haben wir beispielsweise das Studium Generale zu verdanken.

 

Erstmals wurde nun eine klare Abgrenzung zur All- gemeinpolitik gezogen: „Die Freie Studentenschaft nimmt in religiösen und parteipolitischen Angelegen- heiten unter keinen Umständen Stellung“ (Weimarer Richtlinien, 1913).

 

Somit war der letzte Grundstein der Studierendenschaft in ihrer heutigen Form gelegt. In den 1920er Jahren wurden von vielen Studentenschaften zusätzlich Studentenwerke gegründet und die heutige Aufgabenteilung zwischen Studierendenwerk und Studierendenschaft festgelegt. So sorgten die Studentenwerke für die studentische Selbsthilfe, die Studentenschaften nahmen hochschulpolitische Aufgaben wahr und die Weimarer Republik führte Schwarz- Rot-Gold als Nationalfarben eines demokratischen und einigen Deutschlands ein.

 

Wir wären nun also bereits am Ziel, wenn – ja wenn – da nicht die 1930er Jahre, diverse Krisen und ein gewisser Herr Hitler gekommen wären. Wie es weiterging, wissen wir alle zur Genüge, und dass demokratisch organisierte Studentenschaften nicht in ein nationalsozialistisches Weltbild passen können wir uns auch Schlicht um: Studentenschaften wurden zum ideologisch geprägten Propaganda-Instrument.

 

Die Alliierten bauten nach dem 2. Weltkrieg die Stu- dentenschaften in ihrer ursprünglichen Form wieder auf. Und somit sind wir fast am Ziel. Fast.

Denn in den 1970er Jahren kam die CDU/CSU auf die Idee, Verfasste Studierendenschaften seien „eine Brutstätte linken Terrorismus“, und schaffte sie in den von ihr regierten Bundesländern (Baden-Württemberg und Bayern) schlicht ab.

Seither gab es bei uns keine einheitliche, allgemeine Vertretung aller Studierenden. Die Vereine bedienten Partikularinteressen und der eigentliche AStA (bestehend aus den 5 studentischen Senatoren) war quasi nicht existent und wurde ebenfalls durch einen Verein, den AStA e.V., vertreten.

 

Seit 2012 ändert sich jedoch vieles: Die neue Landesregierung führte 32 Jahre nach ihrer Abschaffung die Verfasste Studierendenschaft wieder ein. Und seit 2013 sind auch wir in Heilbronn wieder fleißig am Aufbauen! Die Studierendenschaft besteht bei uns aus einem AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss), einem StuPa (Studierendenparlament), den Fachschaf- ten sowie der StuV (Studierendenvertretung) am jeweiligen Standort. Bevor die Studierendenschaft ihre alte Größe und Dynamik wiedererreicht, ist jedoch noch einiges an Arbeit nötig. Für viele an der Hoch- schule, sowohl Studierende als auch Mitarbeiter, ist dies eine komplett neue Situation. Das erzeugt einiges an Reibung.

 

Nichtsdestotrotz: Seit eineinhalb Jahren ist ein deutlicher Aufschwung spürbar, was studentische Mitbestimmung anbelangt. Und ich kann jeden nur ermutigen, sich für die eigenen Interessen und die Interessen eurer Kommilitoninnen und Kommilitonen einzusetzen. Denn ihr habt die Macht zu ändern, was euch stört. Also: Weniger meckern, mehr gestalten!

Das nennt sich dann Demokratie

 

Jonas Speiser

Studierendenpräsident

 

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 1 vom 30.06.2015

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